Knapp 20 % der Tschechen leben unter der europäischen Armutsgrenze
- Tschechien News

- 28. Aug.
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Vor allem alleinlebende Senioren sind von Armut betroffen

Offiziell gilt Tschechien als eines der EU-Länder mit der niedrigsten Armutsquote. Blickt man jedoch auf eine europaweit einheitliche Definition, leben hier fast ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.
Statistiken zur relativen Einkommensarmut (AROP) weisen Tschechien seit langem als eines der EU-Länder mit der niedrigsten Armutsquote aus. Der Indikator ist jedoch international schwer vergleichbar, da er auf national unterschiedlich hohen Medianeinkommen basiert. Ein „armer“ Österreicher oder Finne verfügt über reale Einkünfte auf dem Niveau eines durchschnittlich verdienenden tschechischen Haushalts. Das geht aus einem aktuellen Bericht von PAQ Research hervor.
In der öffentlichen Diskussion wird regelmäßig berichtet, dass in Tschechien EU-weit die wenigsten Menschen von Armut bedroht seien. Die Regierung verweist stolz auf diese Zahlen, auch Wirtschaftsexperten greifen darauf zurück. Gemeint ist die sogenannte relative Einkommensarmut – Personen, deren Einkommen unter 60 Prozent des nationalen Medianeinkommens liegt. Laut EU-SILC-Daten sind in Tschechien etwa 10 Prozent der Haushalte davon betroffen, im EU-Durchschnitt sind es 16 Prozent.
Der Indikator hat jedoch einige Mängel: Er berücksichtigt nicht die Pfändungen, die in Tschechien überdurchschnittlich häufig Einkommen schmälern. Außerdem werden einheitliche Skalen für Haushalte unterschiedlicher Größe in ganz Europa verwendet, obwohl die Lebensbedingungen stark variieren.
In westeuropäischen Ländern liegen Medianeinkommen – und damit die Armutsgrenzen – deutlich höher als in Tschechien. Eurostat selbst betont, dass die Armutsquote nicht die Armut an sich misst, sondern nur das niedrige Einkommen im Vergleich zum Rest der Bevölkerung – was nicht zwangsläufig einen niedrigen Lebensstandard bedeutet.
Ein Vergleich der europäischen Länder nach Armutsquote ist dennoch wichtig. Wer jedoch den Lebensstandard vergleichen möchte, muss Preisunterschiede berücksichtigen. Dazu dient die Berechnung in Kaufkraftstandards (PPS) – einer hypothetischen Währung, in der eine Einheit in jedem Land denselben Warenkorb ermöglicht. Sie zeigt, was Menschen tatsächlich leisten können.
Das Medianeinkommen von Haushalten in Ländern wie Luxemburg, Österreich oder Irland liegt etwa 1,9-mal höher als in Tschechien und dreimal so hoch wie in Bulgarien. Arme Haushalte in Luxemburg oder Österreich – unter 60 Prozent des nationalen Medians – verfügen daher über ein deutlich höheres Einkommen und einen höheren Lebensstandard als der Durchschnittsbürger in Bulgarien und liegen etwa auf dem Niveau eines durchschnittlich verdienenden tschechischen Haushalts.
21 Prozent der Tschechen gelten nach europäischer Definition als arm
Die Nicht-Vergleichbarkeit nationaler Armutsmetriken könnte überwunden werden, wenn man Armut einheitlich auf europäischer Ebene definiert – als Bevölkerung mit Einkommen unter 60 Prozent des europäischen Medianeinkommens. Grundlage ist wieder die vergleichbare Währung in Kaufkraftstandards (PPS), die nationale Währungen und Preisniveaus harmonisiert. Umgerechnet auf tschechische Kronen läge die Grenze für einen Einpersonenhaushalt bei etwa 19.500 CZK netto pro Monat.
Unterhalb dieser europäischen Armutsgrenze leben 19 Prozent der EU-Bevölkerung. Mittel- und Osteuropa liegen im Vergleich zur nationalen AROP deutlich zurück. In Tschechien leben 21 Prozent der Haushalte unterhalb der europäischen Armutsgrenze – mehr als doppelt so viele wie nach der nationalen Definition, nach der nur 10 Prozent der Haushalte betroffen sind. In Bulgarien, Ungarn oder der Slowakei liegt sogar die Mehrheit der Haushalte unter der europäisch definierten Armutsgrenze.
Wer in Tschechien von Armut betroffen ist
Im Vergleich zum Rest Europas finden sich in Tschechien besonders bestimmte Haushaltsformen unterhalb der Armutsgrenze. Dazu gehören vor allem alleinlebende Senioren: 62 Prozent von ihnen fallen unter die europäische Armutsgrenze, während der europäische Durchschnitt bei 28 Prozent liegt. Auch 43 Prozent der Alleinerziehenden mit Kindern sind betroffen – der europäische Durchschnitt liegt hier 16 Prozentpunkte niedriger.








